Baumeister im Mittelalter
Bis zum 14. Jahrhundert befindet sich die Ulmer Pfarrkirche "über Feld" außerhalb der Stadtmauer. Als Vorgängerbau existiert diese Kirche vermutlich bereits im 7. Jahrhundert und dient als Sammelkirche für mehrere angrenzende Niederlassungen.
Mit der Stadtwerdung Ulms wird sie zu deren städtischer Pfarrkirche. Infolge der Unruhen während der Städtekriege beschließt die Ulmer Bürgerschaft die außerhalb der Stadt gelegene Kirche abzubrechen und innerhalb der Stadtmauern einen Kirchenneubau zu errichten. Nachdem das Kloster Reichenau am 10. März 1376 hierzu seine Zustimmung gibt, erfolgt am 30. Juni 1377 die Grundsteinlegung durch den alten Bürgermeister Lutz Krafft.
Für den Kirchenneubau des Ulmer Münsters werden dabei sowohl die Kalksteinquader als auch die figürlichen Portale der alten Pfarrkirche "über Feld" teilweise wiederverwendet.
Der 1. Baumeister Heinrich II. Parler (1377-1383)
Der erste Baumeister Ulmer Münsters Heinrich II. Parler ist allem Anschein nach ein Sohn Heinrichs I. Parler. Vermutlich absolviert er seine Lehrzeit bei seinem Vater an der Heilig-Kreuz-Kirche in Schwäbisch Gmünd. Offensichtlich ist der ursprüngliche Bauplan für das Ulmer Münster auf Meister Heinrich II. Parler, der wohl bereits in den 1360er Jahren an der außerhalb der Stadt gelegenen Ulmer Pfarrkirche mitarbeitet, zurückzuführen. Sein Plan sieht eine Hallenkirche mit drei etwa gleich hohen Kirchenschiffen, einem westlichen Hauptturm und zwei östlichen Chortürmen vor.
Im Innern des Münsters befindet sich auf der Südseite des Langhauses am dritten Pfeiler von Osten das Relief der Grundsteinlegung. Es zeigt den Ulmer Bürgermeister Lutz Krafft, der gemeinsam mit seiner Frau das Kirchenmodell des Neubaus in den Händen hält. Bei der gebückten Figur, die das Kirchenmodell gleichsam auf dem Rücken zu tragen scheint, handelt es sich vermutlich um Heinrich II. Parler. |
![]() Relief der Grundsteinlegung (Heinrich II. Parler) |
Der 2. Baumeister Michael Parler (1383-1387)
1381 wird die Ulmer Münsterbaustelle von Michael Parler, ebenfalls ein Sohn Heinrichs I. Parler, übernommen. Er kommt aus Prag, wo er bei seinem Bruder – dem berühmten von Kaiser Karl IV. an den Dom St. Veit berufenen Peter Parler – gearbeitet hatte. Während seiner Amtszeit werden der Chor mit dem ersten Gesims sowie die ersten vier östlichen Joche des Langhauses fertiggestellt.
Das Bildnis eines Baumeisters unter dem Kranzgesims zwischen Chor und südlichem Chorturm stellt vermutlich Michael Parler dar.
Der 3. Baumeister Heinrich III. Parler (1387-1391)
Ab 1387 übernimmt Heinrich III. Parler, bei dem es sich allem Anschein nach um einen Sohn Heinrichs II. Parler handelt, die Leitung der Bauhütte. Bis zu seiner Berufung an den Mailänder Dom 1391 führt er den Bau des Langhauses um weitere vier Joche nach Westen weiter.
Möglicherweise handelt es sich bei der hockenden Männergestalt im Blattwerk an der Konsole des dritten Pfeilers auf der Südseite des Mittelschiffes gegenüber der Kanzel um ein Porträt Heinrichs II. Parler im Innern des Ulmer Münsters.
Der 4. Baumeister Ulrich von Ensingen (1392-1417)
1392 übernimmt Ulrich von Ensingen die Bauleitung. Er wird auch Ulrich Ensinger genannt und hatte bis dahin in Prag und Straßburg gearbeitet. Obwohl er bereits 1399 einen Ruf als Baumeister für das Straßburger Münster erhält, leitet er den Bau des Ulmer Münster bis zu seinem Tod 1419 von Straßburg aus weiter. Während seiner Amtszeit setzt er den Weiterbau an Chor bzw. Langhaus fort und errichtet die unteren Geschosse des Hauptturms. Am 25. Juli 1405, wenn auch lediglich mit einem provisorischen Notdach eingedeckt, wird das Ulmer Münster geweiht.
Eine figürliche Darstellung Ulrichs von Ensingen findet sich im Innern des Ulmer Münsters am ersten Pfeiler des südlichen Langhauses zwischen Mittel- und Seitenschiff.
Der 5. und 6. Baumeister Hans (1417-1443) und Kasper Kun (1444-1446)
Hans Kun, der Schwiegersohn Ulrichs von Ensingen, wird bereits im ersten erhaltenen Hüttenbuch von 1417 als Kirchenmeister des Ulmer Münsters genannt. Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass er bereits nach Ulrichs von Ensingen Berufung nach Straßburg bzw. spätestens nach dessen Tod 1419 die Bauarbeiten am Ulmer Münster eigenständig leitet. Er baut am Hauptturm weiter und während seiner Amtszeit entsteht der von Meister Hartmann und Hans Multscher ausgeführte Figurenschmucks an der westlichen Vorhalle. Vermutlich ist die bereits 1414 gestiftete aber erst zwischen 1429 und 1430 errichtete Besserer-Kapelle auf seine Schaffenszeit zurückzuführen.
Dagegen gib es für die unter seinem Sohn Kasper ausgeführten Arbeiten am Ulmer Münster bislang nur wenig Anhaltspunkte. Offenbar zeichnet er aber für die Ausführung der Gruft der 1444 begonnenen Neithart-Kapelle verantwortlich.
Der 7. Baumeister Matthäus Ensinger (1446-1463)
Mit Matthäus Ensinger übernimmt 1446 der Sohn Ulrichs von Ensingen die Bauleitung des Ulmer Münsters. Ausgebildet bei seinem Vater in Straßburg vollendet er die Gewölbe im Chor, in den Seitenschiffen sowie in den Jochen des westlichen Mittelschiffs. Desweiteren führt er den Weiterbau am Hauptturm fort und vollendet die Neithart-Kapelle. Auch die Errichtung der 1447 gestifteten Roth’schen Kapelle am südlichen Seitenschiff, die 1817 abgebrochen wurde, fällt in seine Schaffenszeit sowie die 1458 von Heinrich Rembold gestiftete und um 1461-62 errichtete Valentins-Kapelle auf dem südlichen Münsterplatz.
Ein Bildnis von ihm befindet sich auf dem Wanddenkmal am östlichen Ende des nördlichen Seitenschiffes.
Der 8. Baumeister Moritz Ensinger (1465-1477)
Moritz Ensinger, einer der Söhne von Matthäus, erscheint bereits zwischen 1449 und 1456 mehrfach in den Hüttenbüchern. Nach dem Tod seines Vaters wird er zunächst für die Dauer von zehn Jahren und schließlich auf Lebenszeit zum Baumeister des Ulmer Münsters berufen. Nach rund 100-jähriger Bautätigkeit konnte unter seiner Leitung das Gewölbe fertiggestellt werden.
Als wichtigste Ausstattungsstücke, die während Moritz Ensingers Amtszeit entstanden sind, gelten das unter Mitwirkung von Michael Erhart geschaffene Sakramentshaus (1467-71) die monumentale Weltgerichtsdarstellung am Triumphbogen (1471) sowie das Chorgestühl (1468-74) Jörg Syrlins d. Ä. Allem Anschein nach verlässt Moritz Ensinger Ulm jedoch bereits um 1477 und folgt einem Ruf nach Bern, wo er 1483 stirbt.
Der 9. Baumeister Matthäus Böblinger (1477-1493)
Da unter Matthäus Böblinger, der 1477 zum Baumeister des Ulmer Münsters berufen und 1480 auf Lebenszeit für die Fortführung der Arbeiten angestellt wird, erste Schäden am bestehenden Bauwerk sichtbar werden erfolgt ein Änderung in der Bauplanung. In diesem Zusammenhang legt Matthäus Böblinger für den Weiterbau des Hauptturmes einen neuen Entwurf vor. Dieser Riss, der auch als Böblinger-Riss bezeichnet wird und im Besitz der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde ist, befindet sich heute als Leihgabe im Ulmer Stadtmuseum.
Im Zusammenhang mit auftretenden Bauschäden verlässt Matthäus Böblinger um 1493 den Ulmer Münsterbau und geht nach Esslingen, wo er fortan als Baumeister an der Frauenkirche tätig ist.
Bei der Büste in der südlichen Spindel der Hauptturmtreppe handelt es sich vermutlich um ein Porträt Matthäus Böblingers.
Der 10. Baumeister Burkhard Engelberg (1493-1512)
1492 stürzen zwei Steine aus dem Gewölbe des Hauptturmes, 1493 treten weitere Schäden auf. Zu deren Behebung wird ein Gremium gegründet, das aus 28 Baumeistern besteht. Unter ihnen befindet sich auch der Augsburger Baumeister Burkhard Engelberg, der die Münsterbaustelle als neuer Werkmeister übernimmt. Zunächst führt er alle notwendigen Sicherungsmaßnahmen durch, indem er zunächst die Gewölbe in den Seitenschiffen durch leichtere ersetzt sowie die Fundamente des Hauptturms verstärkt.
Bis 1494 werden das zweite Geschoss des Hauptturmes mit der Galerie sowie der untere Teil des Oktogons gebaut, die Verstärkungsarbeiten an den Fundamenten waren wohl jedoch erst um 1500 fertig gestellt.
Der 11. Baumeister Bernhard Winkler (1518-1543)
1518 wird der eh. Parlier Bernhard Winkler als neuer Baumeister ans Ulmer Münster berufen. Er führt jedoch lediglich noch abschließende Arbeiten und Reparaturen durch. 1519 beschließt der Ulmer Stadtrat, die Bauarbeiten am Münster zu reduzieren. 1521 sind die Arbeiten am Außenbau des Hauptturmes mit einer Höhe von etwa 100 m abgeschlossen, das Gewölbe des zweiten Geschosses kann 1537 vollendet werden.
1543 werden mit Auflösung der Bauhütte die Bauarbeiten am Münster schließlich ganz eingestellt. Von nun an ruhen die Bautätigkeiten für einen Zeitraum rund 300 Jahren.